Frage: »Welche Art des Kommunismus vertreten Sie, Herr Kádár?«

Antwort: »Den neuen Typ, der aus der Revolution hervorging und nichts mit dem Kommunismus der Gruppe Rákosi-Hegedüs-Gerö zu tun haben will.«

Frage: »Ist dieser „neue Kommunismus“, wenn man ihn so nennen darf, dem jugoslawischen oder polnischen vergleichbar?«

Antwort: »Unser Kommunismus ist ungarisch. Er ist eine Art >dritte Kraft< und hat keine Beziehung zum Titoismus oder zum Kommunismus Gomulkas.«

Frage: »Wie würden Sie diese sogenannte „dritte Kraft“ beschreiben?«

Antwort: »Sie ist Marxismus-Leninismus, angepaßt den besonderen Erfordernissen unseres Landes, unseren Schwierigkeiten und unseren nationalen Problemen. Sie ist weder beeinflußt von der UdSSR noch von anderen Abarten des Kommunismus; ich wiederhole: es handelt sich um einen ungarischen Nationalkommunismus. Diese >dritte Kraft< entsprang unserer Revolution, in deren Verlauf, wie Sie wissen, zahlreiche Kommunisten auf seiten der Studenten, der Arbeiter und des Volkes gekämpft haben.«

Frage: »Wird sich Ihr Kommunismus nach demokratischen Grundsätzen entwickeln, wenn man das so ausdrücken darf?« Antwort: »Eine gute Frage. Es wird eine Opposition geben

und keine Diktatur. Diese Opposition wird gehört werden, denn ihr liegen die nationalen ungarischen Interessen am erzen, und nicht jene des internationalen Kommunismus.« Frage: »Ministerpräsident Imre Nagy, den ich gestern interviewte, sagte mir auf meine Frage, daß nicht er die Intervention der Russen veranlaßt habe. Er nannte mir den Namen des Verantwortlichen - Gerö. Ist das richtig?«

Antwort: »Ich möchte sagen, daß Gerö vielleicht davon wußte und auch seine Zustimmung gab, aber es war András Hegedüs, der die Russen herbeirief.« Frage: »Kamen Mikojan und Suslow wirklich während des Aufstandes nach Budapest?«

Antwort: »Ja, sie waren in Budapest.« Frage: »Und mit wem konferierten sie?«

Der Minister machte eine Pause und antwortete dann: Ich weiß nicht.«

Frage: »Wie werden sich die künftigen Beziehungen zwischen der ungarischen kommunistischen Partei und den kommunistischen Parteien der Sowjetunion und des Westens gestalten?«

Antwort: »Die Beziehungen werden bestimmt freundschaftlich sein, aber bisher haben wir noch keinen Kontakt mit westlichen kommunistischen Parteien aufgenommen. Nach allem, was geschehen ist, wünschen sie nicht, uns näherzukommen.«

[...]

Frage: »Was wird das Schicksal jener Kommunisten sein, die in den Tagen Rákosis und seiner Genossen im Vordergrund standen und nun an der Seite der Sowjettruppen und der AVH kämpfen?«

Antwort: »Unsere Regierung wird nichts gegen sie unternehmen. Wir möchten aber nachdrücklich betonen, daß wir mit diesen Leuten nichts gemein haben!«

Frage: »Werden Sie der Abordnung angehören, die nach Moskau reisen wird?«

Antwort: »Die Sowjets werden wohl eine Einladung schicken, aber wir wissen noch nicht, wer der Abordnung angehören oder sie leiten wird. «

Frage: »Wie denken Sie über den Titoismus, und wie werden Ihre Beziehungen zu Tito sein?«

János Kádár, der bis jetzt über meinen deutschen Dolmetscher geantwortet hatte, sagte nun auf deutsch zu mir: »Sehr gut.«

Frage: »Werden Sie westliche Hilfe annehmen, wenn sie angeboten wird?«

Antwort: »Ja, wir würden sie annehmen. Wir brauchen sie sogar, denn unser Land ist wirtschaftlich zusammengebrochen.

 

Quelle: Gosztony, Peter (Hg.), Der ungarische Aufstand in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1966, S. 334ff.