Die Hauptfrage [...] ist, wann und von welcher Seite die Schießerei um das Funkhaus begonnen hat. Zur Feststellung dieses Umstandes will ich versuchen, nachstehend eine Zeittabelle zusammenzustellen. Für die Genauigkeit der Zeitangaben kann ich natürlich keine Verantwortung übernehmen, schien doch die Nacht unendlich lang zu sein und passierten doch in jeder Minute furchtbare Ereignisse, die die Bedeutung dieser Minuten, zumindest für den Augenzeugen, um ein Vielfaches vergrößerten. Aber betrachten wir einmal die Chronologie:

17.30 Uhr: Beginn der Demonstration vor dem Funkhaus.

18-19 Uhr: Versuche unsererseits, die Menge von oben, vom Balkon, beziehungsweise vom Funkwagen draußen auf der Straße zu beruhigen; Wahl von Abordnungen, Ankunft militärischer Verstärkungen aus der Richtung Garageeingang in der Museumsstraße.

19-20 Uhr: Verhandlungen mit den Abordnungen, neue Versuche, die Menge vom Balkon aus zu beruhigen, Versuch, den Einfluß von Losonczy, Gimes und eventuell Imre Nagy einzusetzen; Eindringen in das Funkhaus durch die Fenster, das Tor in der Sándor-Bródy-Straße wird eingedrückt, die aufgebotenen Staatsschutzleute drängen die Demonstranten mit bloßer physischer Kraft aus der Einfahrt.

20-21 Uhr: Der Druck an der Front in der Sándor-Bródy¬Straße wird immer größer, und wir erhalten Nachricht, daß das Gebäude auch vom Mihály-Pollack-Platz her bedroht ist. Die Tränengasgranaten explodieren, die Menge wird vor dem Tor mit einem Wasserwerfer zurückgehalten, die Demonstranten bewerfen die Räume im Erdgeschoß und im ersten Stock mit Ziegelbrocken, Steinen, nicht explodierten Tränengasgranaten und wahrscheinlich auch mit Benzinflaschen, in einem Zimmer wird die Einrichtung angezündet. Die Staatsschutzleute säubern die Sándor-Bródy-Straßen-Front bis zur Ecke Puskin-Straße und Szentkirályi-Straße und ziehen dort einen Kordon. All dies geht ohne einen Schuß vor sich, nicht einmal ein Alarmschuß wird abgefeuert, aber bei den Verteidigern gibt es infolge des Steinhagels bereits eine Anzahl von Verwundeten. Ob es bei den Demonstranten Verwundete gibt und wie hoch deren Zahl ist, weiß ich nicht.

21-22 Uhr: Ankunft weiterer militärischer Verstärkungen. Die aus der Sándor-Bródy-Straße verdrängte Menge versucht es vom Mihály-Polláck-Platz her, dort steigert sich der Druck, und man hört auch schon Gewehrknattern. Laut Befehl darf der Staatssicherheitsdienst nur Alarmschüsse abgeben,, doch behaupten die Soldaten, es sei aus dem Museumsgarten bereits auf sie geschossen worden. Auf der Straße werden parkende Autos in Brand gesteckt. Der Funkwagen vor dem Tor, mit dessen Hilfe das Tor eingedrückt worden war, wurde in den Hof geschleppt. Vom Museumsring her kommen zwei Panzerwagen, hinter denen die demonstrierende »Infanterie« wieder vor die Sándor-Bródy-Straßen-Front zurückdringt. Ein Panzerwagen bleibt genau vor dem Tor stehen. Das wurde die Deckung, aus der später das Tor die ganze Nacht unter Feuer gehalten wurde.

Quelle: Gosztony, Peter (Hg.), Der ungarische Aufstand in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1966, S.157.