„Wir teilen nicht die Meinung derer, welche die Ereignisse der letzten Tage summarisch als konterrevolutionären faschistischen Putsch bezeichnen: Wir haben die Entwicklung mit Aufmerksamkeit verfolgt, und uns über die verschiedenen Bewegungen bestmöglich informiert. So können wir feststellen: Die Ereignisse nahmen ihren Anfang mit der Demonstration der Budapester Universitäts- und Hochschuljugend. Es wäre jedoch ein schwerwiegender Irrtum, darin lediglich die Bewegung der Jugend zu sehen. Die Budapester Jugendlichen haben das von Herzen kommende, Gefühl sowie die edle und heiße Leidenschaftlichkeit des ganzen Volkes zum Ausdruck, gebracht. Wir müssen endlich einsehen; daß, sich in unserer Heimat eine das ganze Volk einschließende und zusammenschweißende große nationale demokratische Bewegung entfaltet hat, welche durch die Willkür der vergangenen Jahre unter die Oberfläche gepreßt wurde, aber von dem. ersten Hauch der Freiheit in den letzten Monaten zur lodernden Flamme entfacht wurde. Betrachten wir völlig objektiv einige Tatsachen, die uns bei der Beurteilung der Lage helfen können. Am 23. Oktober demonstrierten 150000 bis 300 000 Budapester Jugendliche, denen sich übrigens auch eine große Anzahl der Alten anschloß, für die berechtigten demokratischen und nationalen Forderungen ... Dienstagabend wurde, die Rundfunkansprache Ernö Gerös mit größter Spannung erwartet. Diese Rede jedoch war eine große Enttäuschung, weil sie 1. bekundete, daß ein Teil der damaligen Führer das Wesen der Demonstration nicht erkannt hatte oder erkennen wollte, und 2., daß jene Führer nicht gewillt waren, aus der Demonstration konkrete Lehren, zu ziehen.

Es, ist wichtig, zu bemerken, daß auch nachher, am zweiten und dritten Tag, Demonstrationen vor öffentlichen Gebäuden stattfanden, unter anderem mit folgenden Schlagworten: ‚Unabhängigkeit! Freiheit! Wir sind keine Faschisten!' Es ist ebenfalls wahr, daß Plünderungen lediglich in geringem Maße stattfanden, verübt durch ehrlose Elemente, die sich unter die Demonstranten mischten; dagegen konnten wir uns vielerorts überzeugen, daß die hinter den zerbrochenen Schaufenstern ausgestellten Waren nicht angerührt wurden. Aufgrund all dessen können wir feststellen, daß es sich auch nach Ausbruch der Kämpfe nicht einfach darum handelte, daß auf der einen Seite die Konterrevolutionäre standen und auf der anderen dem Regime loyale Einheiten. Die Wahrheit ist, daß unter den am Kampf teilnehmenden Aufständischen anfangs die Zahl jener ehrbaren Patrioten außerordentlich groß war, darunter auch Kommunisten, die bisher die sozialistische Demokratie nicht gesichert sahen. Auch die tragischen Ereignisse dürfen unseren Blick nicht so weit trüben, daß wir die Wahrheit vor Augen verlieren: Die Studenten aus Arbeiter- und Bauernkreisen sowie intellektueller Abstammung, und auch die Arbeiterkinder können wir nicht als Feinde der Volksdemokratie bezeichnen. Wir müssen ebenfalls bemerken, daß die Öffentlichkeit die Ernennung von Imre Nagy vertrauensvoll begrüßte. Aber der Beschluß, welcher Ernö Gerö als Ersten Sekretär bestätigte, goß Öl auf das Feuer. Die Erklärung Imre Nagys, dann die Ablösung Ernö Gerös und die Ernennung János Kádár als Erster Sekretär, dazu die Erklärung des erneuerten Zentralkomitees und die Tatsache, daß in der neuen Regierung beispielsweise Zoltán Tildy, Béla Kovács, György Lukács und Antal Gyenes waren, fand den Beifall bedeutender Massen. Doch der Kampf ging weiter. Seit Donnerstag nachmittag abschwächend. Der Widerstand ließ, keinesfalls in erster Linie wegen der sowjetischen Truppen nach, sondern weil ein bedeutender Teil der Aufständischen die Erfüllung seiner demokratischen Forderungen gesichert sah und ab Donnerstag die Amnestie zur Niederlegung der Waffen benutzte. Bezeichnend für die Mentalität dieser demokratischen Schichten ist, daß nachher mehrere von ihnen gemeinsam mit den ungarischen Soldaten und Polizisten sich an der Wiederherstellung der Ordnung beteiligten..."

Quelle: Farkas, J.G. (Hg.), Die ungarische Revolution 1956. Rundfunk-Dokumente unter besonderer Berücksichtigung der studentischen Bewegung, München 1957, S.66f.